Sonntag, 19. Dezember 2010

Das Christkind

Ein Märchen

Das Christkind

Vor langer Zeit trafen sich einst die Weihnachtsmänner, um unter sich den Besten auszumachen. Ein Herold zog durch die Lande und verkündete die Bedingungen des Wettbewerbs. Die Weihnachtsmänner sollten sich in fairem Wettkampf untereinander messen. Der Beste sollte eine Reise ins ferne Afrika und ein Preisgeld gewinnen.

Am zweiten Adventssonntag war es soweit. Vierzig Weihnachtsmänner aus allen Teilen der Welt fanden sich auf einem verschneiten geheimen Ort in den Bergen ein.

Die Schiedsrichter betrachteten sich die Teilnehmer sehr genau. Alle Weihnachtsmänner hatten einen weißen Rauschebart, trugen eine rote Mütze, ihre Stiefel und den rot-weißen Mantel, bis auf eine Ausnahme. Das sah doch alles Perfekt aus.

Eine Person störte, die gehörte nicht in dieses Bild. Ein Engel mit weißem Kleid und Engelsflügeln stand mittendrin in der Schar.

Dem Oberschiedsrichter behagte dies überhaupt nicht.

„Seit wann dürfen Engel an unseren Wettkämpfen teilnehmen?“

Ein großes Geraune erfüllte den Berg. Die Weihnachtsmänner sprachen sich energisch gegen die Beteiligung eines Engels aus. Das störte den Engel wenig.

„Ich habe die gleichen Rechte wie ihr, außerdem will ich auch die Kinder bescheren.“

Einer der Weihnachtsmänner machte einen Schritt auf sie zu und zeigte mit der ausgestreckten Hand nach ihr.

„Schaut euch das zarte Engelchen an! Die will es mit uns aufnehmen. Ho! Ho! Haben wir damit ein Problem, wir sind allemal stärker, besser und vor allem schneller als dieses Persönchen.“

Da lachten die Weihnachtsmänner laut schallend und vor allem weit hörbar auf. Das Engelchen ließ sich davon nicht entmutigen.

„Wenn ihr schon so sicher seit, dann lasst uns doch den Wettkampf austragen. Am Ende werden wir sehen, wer gewinnt.“

„Ho! Ho! Ho!“ Die Weihnachtsmänner lachten das Engelchen nur aus.

Der Oberschiedsrichter hingegen stimmte ihrem Anliegen zu.

„Unsere Weihnachtsmänner haben keine Angst vor Engel! Wir wollen den Kampf auf faire Art austragen, möge der Beste gewinnen.“

Ein Weihnachtsmann rief spöttisch. „Ist doch klar, wer hier gewinnt, einer von uns!“

Das Engelchen überhörte diese Worte und stellte sich dem Wettkampf. Die Aufgaben waren sehr schwer zu lösen.

Die schweren Schlitten mussten von Hand gezogen werden. Das Engelchen musste sich da schon mächtig anstrengen, um mitzuhalten. Am Ende hatte es die Nase vorne.

Die Weihnachtsmänner waren überrascht.

Die nächste Aufgabe gefiel dem Engelchen schon besser. Es sollte Kinder trösten. Am Ende hatte es auch bei dieser Aufgabe die Nase vorne.

Die Weihnachtsmänner machten sich keine Mühe ihren Groll zu verbergen.

Die Aufgabe Geschenke einzupacken war genauso wenig ein Problem für unser Engelchen.

Die Verärgerung unter den Weihnachtsmännern kannte fast keine Grenzen mehr. Ein Weihnachtsmann rief laut anklagend.

„Dieses Engelchen will uns der Blamage preisgeben!“

Eine Stimme im Hintergrund rief.

„Bleibt fair ihr Leute oder wollt ihr Ärger haben mit mir?“ Da drehten die Weihnachtsmänner die Köpfe um und raunten.

„Jesus ist da! Wo kommt der her?“

„Habt ihr vergessen, Weihnachten ist das Fest meiner Geburt. Habe ich euch nicht gelehrt, euch anständig zu benehmen? Macht mir bloß keine Schande hier. Die Engel sind übrigens die Boten meines Vaters, die gehören genauso in die Weihnachtszeit wie ihr.“

Da schwiegen die Weihnachtsmänner betroffen.

Immerhin dieses Engelchen konnte bestimmt keine Hufe schmieden für die Rentiere. Hätten sie am Anfang nur nicht so laut gelacht.

Das Engelchen hatte auch bei diesem Wettbewerb die Nase vorne.

Einer der Weihnachtsmänner sagte leise. „Aber das Rentierrodeo gewinnt sie nicht. Niemals! Das beherrschen nur echte Weihnachtsmänner.“

Weit gefehlt, das Engelchen gewann auch diesen Wettbewerb mit viel Geschicklichkeit zeigte es sein Talent.

Da klatschten nun die Weihnachtsmänner endlich den verdienten Beifall.

Der Oberschiedsrichter verkündete den Sieg des Engelchens. Da machten die Weihnachtsmänner eine Verbeugung und entschuldigten sich bei dem Engelchen. Ein Weihnachtsmann fragte dennoch.

„Wie ist das möglich? Immerhin ist es ungewöhnlich, ein Engelchen vom Himmel kommt als Weihnachtsfrau daher.“

Da lachte das Engelchen in seinem weißen Kleid und seine Flügel schlugen vor Freude.

„In meiner Heimat ist das Christkind die Symbolfigur für Weihnachten. Das ist das Fest des Friedens und der Freude auf Erden. Unsere Aufgabe ist es, dies den Menschen zu verkünden. Vergesst darüber nicht die Kinderherzen, sie brauchen sehr viel Liebe und Zuwendung.“

Seit dieser Zeit hat das Christkind offiziell die Aufgabe übernommen, die Kinder in dieser Welt, unter dem Weihnachtsbaum zu beschenken.

© Bernard Bonvivant, Autor des Romans Das Chaos

Dienstag, 5. Oktober 2010

Bunter Blätterregen

Bunter Blätterregen

Nun ist es wieder soweit,
der Winter naht im Sauseschritt.
Bevor sie geht, die schöne Zeit,
sie sich verschwenderisch neigt.

Die Natur zum Abschiedsball einlädt,
herausgeputzt in aller Farbenpracht.
Die Herbstsonne milde dazu lächelt.
Wer wohl jetzt den ersten Tanz wagt?

Herr Wind ist voller Ungeduld,
so fegt er über Berg und Tal,
bringt Schwung in dieses Bild.
Rüttelt und schüttelt wie wild.

Da heben und senken sich die Zweige,
da fliegt die bunte Schar dahin,
getragen vom Winde in die Höhe,
noch weiter hinauf, doch halt!

Es kommen immer mehr dazu,
ein wahrer Blätterregen,
senkt sich herab auf die Häupter
oder landet sanft auf den Wegen.

Welch´ schön anzuschauender Regen,
für die Herzen ein warmer Segen.
So lasset die Zeit nun doch gehen,
sich so durch die Lüfte verwehen.


© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

Donnerstag, 26. August 2010

Das tägliche Rattenrennen

Das tägliche Rattenrennen

Am Morgen verschlafen, den Wecker zu spät gehört. Die Dusche eiskalt genossen, das warme Wasser ausgerechnet an diesem Morgen ausgefallen. In der Küche die Körner heruntergeschlungen, die Zunge am schlechten, heißen Kaffee verbrannt.
Den Mantel übergeworfen, die Scheiben am Wagen freigekratzt. In der Kälte fast erfroren, die Ohren taub, die Hände klamm.
Das Auto springt nicht an, fürchterlich geflucht, fast das Lenkrad in Stücke geschlagen. Die Motorhaube geöffnet und mit nicht vorhandener Sachkenntnis das Innenleben studiert. Natürlich die Ursache nicht gefunden.
Der Nachbar stellt sich daneben, meint es sei die Batterie.
Natürlich, darauf hätte Frau doch auch von selbst kommen können. Oder etwa nicht?
Ein Auto hält an. Der Fahrer kommt gutgelaunt zu den Experten, schaut kurz unter die Motorhaube.
„Tja, da ist nix zu machen, die Zündkabel sind im Eimer.“
Frau schaut ihn verdutzt an. „Was für Zündkabel?“
„Eh, Mädchen musste nicht verstehen. Die meisten Leute haben damit ihre Probleme, dafür gibt es schließlich uns. Die Jungs vom KFZ - Handwerk.“
Frau natürlich wenig erbaut. „Machst du jetzt Werbung für die Innung. Oder wie darf ich deine Äußerung verstehen??“
„Nein! Natürlich nicht, ich arbeite eben in einem Betrieb, der sich Autohaus nennt.“
Frau erleichtert. „Ach so, ich dachte du nimmst mich auf den Arm.“
Der Mann lächelt sie an. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“ Frau lenkt geschickt ab.
„Wieso sind meine Zündkabel kaputt?“
Der Mann nickt. „Gute Frage. In der Kiste hat der Marder diese Nacht sein Quartier aufgeschlagen.“
Frau hält sich die Hand vor den Mund. „Das wird teuer!“
Der Mann winkt ab. „Diesen Schaden übernimmt die Teilkasko. Ich kann mich um dein Auto kümmern, kein Problem.“
Frau nickt. „Sehr gut, ich bin nämlich beim Rattenrennen.“
Der Mann schaut sie erstaunt an. „Um die Zeit am Morgen? Wo sind die lieben Tierchen?“
Die Frau lacht laut. „Sag bloß, du kennst das tägliche Rattenrennen nicht?“
„Nein, das ist bei mir eine Bildungslücke.“
„Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht. Das tägliche Rattenrennen ist der immer wiederkehrende Lauf, hin zur Arbeit, an den Schreibtisch, Hektik verbreiten, am Abend dann zurück in den Stall. Sich die Frage stellend: Geht das ewig so weiter?“
Der Mann lacht. „Na zumindest für diesen Tag dürfte das Rattenrennen anders aussehen.“
„Genau am heutigen Tag haben wir eine Tagung. Ich soll ein Referat halten. Wer kommt zu spät? Die Referentin!“
Der Mann lächelt sie freundlich an. „Mein Auto fährt, ich kann dich also noch rechtzeitig zu deiner Tagung bringen.“
Die Frau ist mehr als erfreut. „Das wäre jetzt absolute Spitze. Ich meine, ich würde mich auch revanchieren mit einer Einladung zum Essen.“
Der Mann hält ihr die Autotür auf, sie steigt ein.
„Was wird dein Boss sagen?“
Er lächelt sie an. „Bei meinem Rattenrennen bin ich der Boss. Das macht mir den täglichen Spaß leichter.“

© Bernard Bonvivant, Autor des Romans "Das Chaos"

Samstag, 21. August 2010

Manchmal steht die Zeit still

An einem herrlichen Sommertag verlässt ein alter Mann seine Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses im Nauwieserviertel in Saarbrücken. Sein Ziel ist der Staden, eine Parkanlage in der Landeshauptstadt, direkt gelegen an der Saar. Sein Weg führt immer hierher sogar an bitterkalten Wintertagen.
Früher als seine Frau noch lebte, hat sie ihn oft begleitet, dann saßen sie bei gutem Wetter stundenlang auf der Parkbank an ihrer Saar.

Leider hat seine Frau ihn vor zwei Jahren für immer verlassen, jetzt ist er nur noch allein mit sich und seinen Erinnerungen.

Die Saar war über viele Jahrzehnte seine Heimat gewesen, schon als kleiner Junge begleitete er oft seine Eltern, vor allem in den Schulferien. Sein Vater fragte ihn meist. „Und Gottfried, was wirst Du von Beruf, wenn Du ein Mann bist?“

Er antwortete dann immer. „Papa, ich werde natürlich Saarschiffer genauso wie Du!“ Sein Vater nahm sich dann meist eine Gitanes aus der Zigarettenpackung und rauchte erst einmal ein paar Züge, ehe er sich dann zu einer Antwort durchgerungen hatte.

„Weißt Du, Gottfried, das wird von Jahr zu Jahr schwerer auf diesem Fluss. Ich habe in deinem Alter noch meinem Vater zugesehen, wie er mit seinen Leuten das Boot entlang des Treidelpfades gezogen hat. Wir hatten zwar Rösser aber die Arbeit mein Junge war dennoch schwer. Ein paar Jahre später hat mein Vater unser Schiff hier gekauft. Wir hatten zwar ein grosses Schiff mit einer starken Maschine aber unsere Schulden waren keineswegs gering. Es gab Tage an denen war unser Essenstisch sehr bescheiden.“
Gottfried meinte dann immer. „Papa, die Zeiten ändern sich, heute geht es uns doch viel besser. Wir haben ein Auto. In ein paar Jahren haben wir
eine ganze Schiffsflotte.“

Sein Vater musste dann immer laut lachen und Mutter streckte den Kopf aus der Kombüse und rief.
„Josef, höre mir bloß damit auf, dem Jungen Flausen in die Ohren zu setzen. Du weißt, wie hart wir unser Brot verdienen.“
Der Vater lachte dann meist noch lauter. „Herr Gott, Mariechen, ich versuche es ihm doch auszureden. Der Junge ist halt ein echter Saarschiffer!“

Seine Mutter war dann meist noch wütender. „Josef mache unseren Buben nicht unglücklich. Der soll ein besseres Leben haben.“

Der alte Mann hatte seine Parkbank erreicht und setzte sich mit einem Lächeln nieder.

Seine Mutter war eine Seele von Frau gewesen und sie hatte es wirklich nur gut mit ihm gemeint. Gottfried aber hatte andere Ziele und die hießen, Schiffer werden. Alle Versuche seiner Mutter, ihm eine andere Zukunft auszumalen, waren für ihn undenkbar. Die arme Frau hatte schließlich an jenem Tag verloren, an dem Gottfried für sich die Liebe zu einem Mädel entdeckte.

Unter der Brücke von Sarreguemines geschah dies an einem Sommertag. Sie stand vor dem Schiff ihres Vaters und blickte ihn wütend an. Er hatte sie nicht bemerkt und war gegen ihr Fahrrad gelaufen. Die Einkaufstasche auf dem Gepäckträger des Rades fiel zu Boden. Da lagen nun das Baquette und der Käse und die zerbrochene Rotweinflasche am Boden. Der Schiffer kam zu ihnen und sah sich die Bescherung an. Er blickte zu seiner Tochter und dann zu Gottfried. Dann sprach er.
„Ihr zwei seit mir ein schönes Paar, habt Ihr nur noch Augen für Euch im Kopf oder was ist los?“

Josef kam von seinem Schiff herüber und entschuldigte sich für seinen
Sohn. „Wir ersetzen den Schaden, Monsieur. Ich heiße Josef Wagner“ Der Mann blickte ihn groß an. „Mais oui, Monsieur Josef, weißt Du noch, wie wir damals Schläge von unseren Vätern bekamen, weil uns die Rösser auf dem Treidelpfad fast verloren gingen?“

Josef griff sich an seine Stirn und brüllte. „Mensch, der Jacques Legrand, das ist schon so lange her, ich habe Dich nicht mehr erkannt. Ist das deine Tochter?“ Jacques nickte voller Stolz.
„Das ist meine Lucie.“

Lucie lächelte und es war der schönste Augenblick dieses Lebens für
Gottfried. Ab jenem Tag waren sie unzertrennlich und ihr weiteres Leben stand fest. Sie würden die Tradition der Saarschiffer fortsetzen.

Zwei Jahre später haben sie geheiratet. Im Jahr darauf hatten sie ihr eigenes Schiff, die Lucie. Es war das schönste Schiff auf der Saar und immer tiptop gepflegt und sauber. Bei ihnen konnte ein Besucher sprichwörtlich vom Boden essen. Die ersten Jahre liefen gut, viel zu gut. Sie hatten immer Fracht und schipperten die Saar hinunter über den Saar-Kohle-Kanal zum Rhein-Marne-Kanal und oft führten diese Fahrten ins Ruhgebiet und manches Mal sogar nach Rotterdam.

Gottfried stehen die Tränen in seinen Augen und während die Jugend im Fluss der Tränen erneut vor seinem Auge verwelkt, wie war diese Zeit mit Lucie so schön gewesen. Manchmal aber stand die Zeit auch in dieser Vergangenheit still, dann wenn das Hochwasser oder extremes Niedrigwasser eine Weiterfahrt verhinderte. Diese Zeiten nutzen sie damals nur für sich, gemeinsam erkundeten sie das Elsass, kletterten durch die Vogesen oder waren in Luxemburg, Belgien, eben gerade, wo ihr Schiff sozusagen gestrandet war, gemeinsam Hand in Hand unterwegs.
Ja, sie hatten ihr Leben genossen und es gab nichts was sie hätten bereuen müssen.

Was dann geschah, konnten sie nicht verhindern, sie hatten in der schweren
Zeit noch großes Glück gehabt. Es war ihnen gelungen die beiden Schiffe der Eltern zu verkaufen und nach deren Tod war noch genügend geblieben, um nicht mittellos zu werden. Die schönen Zeiten hatten sich gewandelt, es kam die Stahlkrise.

Die Stahlkocher wurden von ihren Hochöfen weggespült und die Frachtraten gingen dramatisch zurück. Das schwarze Gold wurde auch immer weniger und am Ende waren sie froh, wenn sie wenigstens noch gerade so über die Runden kamen.

An einem Sonntagmorgen saßen sie auf dem Saar-Kohle-Kanal fest mit einem Maschinenschaden. Lucie nahm es gelassen, deckte den Frühstückstisch und meinte sie müssten eine Entscheidung treffen.
Gottfried hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet.

Lucie ließ keinen Zweifel aufkommen, es war an der Zeit der Saar-Schifffahrt „lebe wohl“, zu sagen. Für Gottfried war dieser Sonntagmorgen hart. Eine Wasserratte war nun einmal keine Landratte.
Am Ende aber siegte die weibliche Vernunft und die Erkenntnis, dass es keinen Sinn ergab, die Ersparnisse für das Alter in eine ungewisse Zukunft zu stecken. Sie verkauften ihr Schiff und zogen in die Stadt.

Es war Lucie, die unbedingt eine preiswerte Wohnung wollte. Wussten sie, was noch kommen sollte? So zogen sie in das Nauwieserviertel, statt eines Autos, gab es zwei Räder und ansonsten fuhren sie mit den Straßenbahnen im Saartal. Er war stolz eine so kluge und bescheidene Frau an seiner Seite zu wissen.

Gottfried schaut auf seinen Fluss und könnte er die Zeit noch einmal durchleben, die Zeit würde länger stehen bleiben in den guten Jahren. Nein, da ist kein Groll, er hat eine sehr gute Frau gehabt, nur die Zeit ihres gemeinsamen Lebens war zu kurz und seine Zeit allein vielleicht zu lang. Langsam erhebt er sich von der Bank, ein paar Schritte hin zum Fluss. In einer Plastiktüte hat er wie so oft Brotreste. Er wirft sie in hohem Bogen den Enten in der Saar zu. Einige Minuten schaut er noch dem Treiben im Wasser zu, dann wendet er sich ab.

Sein Weg führt ihn zurück, in seine einsame Wohnung. Seine Brust aber ist voller Stolz, er war schließlich ein echter Saarschiffer, einer von dem alten Schlag. Seine Liebe zur Saar ist nie erloschen genauso wenig wie die Liebe zu seiner Lucie. Darum wird er auch Morgen wieder auf seiner Bank an der Saar im Staden sitzen, allein und seine Gedanken werden eintauchen in seine gute alte Zeit.


© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

Autor des Romans Das Chaos


Mehr zu Bernard Bonvivant finden Sie hier: Bernard Bonvivant

Sonntag, 15. August 2010

Der Planet der Milchmädchen

Der Planet der Milchmädchen

Einst war ein Planet voller süßer Milchquellen. Überall im ganzen Land waren die Milchmädchen unterwegs und brachten ganz galant ihre Ware unter die Leute. Die Milch verwandelte sich in den Händen der Mädchen zu purem Gold, einmal glänzte es mit der Sonne um die Wette, das andere Mal war es dunkel und flüssig und floss, ohne ein Ende zu nehmen.

Ach, wie ist es doch so schön zu wandeln auf den glücklichen Pfaden. Die Verlockung aber saß abseits im Gebüsch, hörte das Flüstern der Milchmädchen im Winde und sandte den betörenden Duft der Verführung aus.

Fortan ging es nur noch um die Frage: Wie mache ich mehr daraus?

Die Milchmädchen fanden bald schon geschickte Möglichkeiten ihre Habe und ihr Gut noch mehr zu mehren ohne irgendwelche Skrupel. So streckten sie die Milch mit Wasser. Wer bei der Bezahlung nicht auf Heller und Pfennig achtete, dem wurde unter der Hand die Rechnung dreist erhöht. Die Kannen mit der Milch wurden nicht mehr ausgetauscht, sie wurden sprichwörtlich genutzt, bis sie auf dem Kopfe zerbrachen. So wurde die kostbare Milch in verschwenderischer Weise zum Marktplatz des Lebens getragen.

Eine alte und arme Frau saß bettelnd auf dem Marktplatz und blickte erzürnt. „Wie kann man nur so mit kostbarem Gute umgehen? Der Überfluss ist endlich und wehe euch der Mangel naht, dann werdet ihr fürchterlich darben.“ Die Narren und die Clowns, vorne weg die selbst ernannten Propheten mit ihren Trommlern, verspotteten und verhöhnten die alte Frau.

Das Leben aber sei Wandel und so manche scheinbare Vollkommenheit zerbricht. Eines Tages versiegten die Milchquellen und die Milchmädchen hatten in ihren Kannen nur noch schwarzes Pech. Die Felder trugen keine Frucht mehr und die Mägen knurrten vor Hunger. Bald schon begann der große Kummer gepaart mit der Traurigkeit Einzug zu halten in das Leben und kein Tier und kein Mensch blieben davon verschont.

Die Milchmädchen zogen weinend zu ihren Milchquellen. Sie haderten mit dem Leben und flehten um Gnade, doch die unbeschwerte Zeit des Paradieses war endgültig vorüber.

Samstag, 15. Mai 2010

Die Jungs von Fisherman´s Wharf

Die Jungs von Fisherman´s Wharf


Wir waren aus unserem armen Fischerdorf in Italien nach Amerika ausgewandert. Onkel Guiseppe war bereits in San Francisco und so zogen auch wir in diese Stadt.

Mein Onkel hatte sehr schnell begriffen, wie man in Amerika zu Geld kommen konnte. Er hatte sich ein Fischerboot besorgt und Tante Maria hatte ein kleines Restaurant eröffnet nahe dem Pier.

Ihre Krabbensuppe galt als die beste Köstlichkeit weit und breit. Meine Eltern stiegen natürlich in das Geschäft mit ein. Wir waren eben eine Sippe und die hielt zusammen.

Überhaupt schien Fisherman´s Wharf in der Hand von uns Italienern zu sein. Ich tat was die meisten Jungens dieser Welt in meinem Alter unternahmen, wenn sie schon die Freiheit genießen durften, dann wurde die neue Welt erkundet.
Sehr bald merkte ich die Unterschiede und vor allem welche Frauen für ihre Leistungen Geld wollten und welche Typen zu meiden waren. Es waren die natürlichen Instinkte, welche man in dieser Welt dringend brauchte, um überleben zu können.
Ich kam zum ersten Mal in meinem Leben mit Menschen anderer Hautfarben zusammen. Das war tief beeindruckend. Ich erzählte natürlich meiner Mutter von meinen neuen Erfahrungen und sie riet mir sofort zur Vorsicht.

Wer wusste schon, was diese Menschen im Schilde führten? Ich wollte es genauer wissen und so zog es mich zum Fischerboot meines Onkels Guiseppe und ich befragte ihn. Mein Onkel lachte und setzte sich auf eine leere Holzkiste.

„Pietro, wir sind in Amerika, hier leben nicht nur Italiener. Wir müssen freundlich sein zu den Menschen und sollten mit ihnen auskommen. Du solltest dich eher vor den Italienern in acht nehmen.“
Ich stand vor meinem Onkel mit großen, fragenden Augen. „Unseren eigenen Landsleuten?“
Mein Onkel nickte. „Weißt du mein Junge, hier gibt es mittlerweile Leute die wollen Geld verdienen, ohne viel dafür zu tun. Sie behaupten den Menschen Schutz zu bieten in Wahrheit wollen sie nur ihr Geld. Ich bitte dich daher aufzupassen, mit wem du den Umgang pflegst und schließe nicht gleich überall Freundschaften. Die meisten Freunde taugen für das Leben nicht. In Amerika ist es wichtig, die Sprache zu erlernen. Du bist das jüngste Mitglied unserer Sippe und eines Tages übernimmst du unsere Geschäfte. Du sprichst englisch dann wirst du auch ein erfolgreicher Geschäftsmann.“

Das Gespräch mit meinem Onkel gab mir plötzlich eine neue Sichtweite. Ich setzte mich auf einen Felsen nahe der Bucht und hörte dem Pazifik zu, während er murmelte und mit Getöse die Gischt mir in mein Gesicht schleuderte, hörte ich einen Hilfeschrei. Ich sah einige Meter entfernt einen schwarzen Jungen, der wohl kurz vor dem Ertrinken war. Ich hatte schon früh schwimmen gelernt und so stürzte ich mich todesmutig in die Fluten und zog den Jungen an Land.

Er war schwer wie ein Sack und von Mithilfe keine Spur. Es dauerte einige Zeit, bis er sich erholt hatte. Seine Augen musterten mich.
„Danke, du hast mir das Leben gerettet. So ein Mist, meine Angel ist weg!“
Ich zuckte mit den Schultern. „Na und, besser die Angel weg als dein Leben. Ich heiße übrigens Pietro.“
Er drückte meine Hand. „Ich bin der Jim. Meine Mutter verdient ihr Geld mit Männern und mein Vater ist ein Trunkenbold, demnach keine gute Bekanntschaft für dich.“

Er blickte ein wenig trübsinnig auf den Pazifik hinaus. Ich wunderte mich, hätte er sich nicht freuen müssen? Jim warf ein paar Steine in das Wasser.
„Weißt du, wenn der Alte mitbekommt, dass die Angel weg ist, dann wird er wieder seine Wut an mir auslassen. Hast du schon einmal eine Zigarre auf deinem Körper ausgedrückt bekommen?“
Ich erschrak bei diesem Gedanken, in meiner Familie würde es so etwas nie geben. Niemals! Jim zog sein Hemd hoch und dann sah ich die Narben. Gut! Ich bekam manchmal eine hinter die Ohren oder eben ein paar Klapse auf den Hintern, aber so etwas hätten meine Eltern nie getan.
„Wir gehen zu meinem Onkel Guiseppe. Du bekommst eine neue Angel, die beste Angel der ganzen Bay.“
Jim sah mich lächelnd an. „Meinst du es ehrlich?“
„Was denn sonst du Pfeife, also auf, lass uns zu meinem Onkel gehen.“
Guiseppe saß auf einer Bank vor dem kleinen Lokal. Er lächelte uns zu. „Na, mein Pietro, hast du etwa endlich einen Freund gefunden?“
Tante Maria kam aus dem Laden und blickte ein wenig misstrauisch. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte. Meine Tante hatte plötzlich großes Mitleid und gab ihm einen Teller von ihrer Grabensuppe. Für meinen Onkel war es keine Frage, wenn der Junge eine Angel brauchte, dann bekam er sie auch.
Wir waren eben anständige und hilfsbereite Leute. Jim wurde ab diesem Tag mein bester Freund. Er schrieb in der Schule von mir ab und wir packten sogar gemeinsam in späteren Jahren einen guten Schulabschluss.
In der Folgezeit stießen ein Chinese, ein Russe, ein Schwede und ein Kanadier zu uns.
Wir nannten uns schlicht und einfach nur: „Die Jungs von Fisherman´s Wharf“
Das stimmte wohl nicht ganz, denn nur Jim und ich wohnten hier wirklich. Der Chinese kam aus Chinatown und der Russe von Russian Hill. Der Schwede und der Kanadier wohnten in der Nähe des Union Square.
Unsere gemeinsame Zeit war schön und verlief ohne große Aufregung bis zu jenem Tag an dem Jim volljährig wurde.

Wir trafen uns am Pier. Jim hatte Whisky aufgetrieben, unser russischer Freund brachte Wodka mit und dem Schweden war es gelungen, Bier aufzutreiben.
Es war meine erste Begegnung mit dem Alkohol, und während meine Freunde richtig zu langten, beließ ich es bei einem Bier. In dieser Nacht sollte es mein großes Glück sein.
Der Abend wurde immer später und irgendwann waren meine Freunde so voll, dass sie anfingen, Unsinn zu treiben. Am Pier lag eine Fähre, die erst am nächsten Morgen auslaufen sollte. Ich warnte meine Freunde noch, doch es war zu spät.
Es zog sie auf die Fähre und was noch viel schlimmer wurde, sie konnten ihre Finger nicht von den Automobilen auf der Fähre lassen. Das hatte schwerwiegende Folgen, sie zertrümmerten an einem Wagen ein Seitenfenster und demolierten an einem andern Fahrzeug die Karosserie. Ich war kein Feigling, nur so etwas kam mir einfach nicht in den Sinn.
Ich saß, wie auf glühenden Kohlen, auf einer der Bänke am Pier und stellte mir bereits vor, was geschehen würde wenn die Besatzung des Schiffes plötzlich zurückkehrte und uns erwischte. Während ich mich mit dieser Frage beschäftigte, tauchte mein Freund Jim auf. Er blutete an der Hand und stammelte vor sich hin.
„So ein Mist! So ein Mist!“
Kurzerhand packte ich ihn an der Hand und riss ihn mit, wir liefen von dem Pier. Ich stellte keine Fragen und Jim war viel zu durcheinander um irgendetwas zu sagen.
Ich brachte ihn zu einem bekannten Arzt in unserem Viertel, der für Geld alles tat und dafür schwieg wie ein Grab. Jim hatte Glück gehabt, er hatte zwar Schnittwunden erlitten, doch waren sie nicht lebensgefährlich.

Am nächsten Tag erfuhr ich mehr. Auf dem Fährschiff hatte sich eine Tragödie abgespielt. Was niemand von uns wusste, auf dem Boot war eine Wache zurückgeblieben und diese hatte meine Freunde auf frischer Tat ertappt. Es kam zu einer Rangelei, dabei fiel der Schwede so unglücklich in eine Glasscheibe, dass er an der Halsschlagader verletzt wurde. Er verstarb noch an Bord.
Der Russe, der Chinese und der Kanadier wurden noch in der gleichen Nacht verhaftet. Jetzt zeigte sich, was wahre Freunde sind, sie schwiegen. Es kam kein Wort über ihre Lippen, wer die beiden anderen Personen waren. Sie mussten für ganze vier Jahre in ein Staatsgefängnis.

Heute zwanzig Jahre später stehe ich erneut an dieser Stelle am Pier. Ich blicke hinaus auf die Bay, die Möwen kreischen und mein Herz ist voller Freude.

Die Freunde von damals sind längst Vergangenheit. Jim wurde Zuhälter und kam bei einer Schießerei ums Leben. Meine 3 anderen Freunde hatten ebenso wenig Glück in ihrem weiteren Leben. Ihre Inhaftierung brachte sie bedauerlicherweise auf den falschen Lebensweg.

Ich hingegen bin meinem Onkel dankbar für seine wertvollen Ratschläge. Während meine Frau und meine beiden Kinder sich auf eine Bank setzen. Atme ich die Meeresluft tief ein.

Die Jungs von Fisherman´s Wharf gibt es immer noch und mein kleiner Sohn gehört dazu. Das Leben geht weiter.

Eines aber habe ich gelernt, der ehrliche Weg ist weit länger und es dauert, bis sich die Erfolge einstellen, nur ein schöneres und besseres Gefühl gibt es nicht.

Ich liebe diese Stadt, die mir so viel Glück gebracht hat, möge es meinen beiden Kindern hier genauso gut ergehen wie mir.

© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany
Autor des Romans „Das Chaos“