Freitag, 25. Dezember 2009

Die Glückssterne

Märchen


Die Glückssterne



Irina Ivanov war ein kleines Waisenmädchen. Ihre Eltern waren bei einem Flugzeugabsturz in Sibirien ums Leben
gekommen. Die Großeltern waren zu alt um sich um die Kleine zu kümmern und so war sie in einem Waisenhaus gelandet.
An einem strahlenden Sommermorgen waren ein Mann und eine Frau aufgetaucht, hatten sie mitgenommen in das ihr nicht bekannte Land mit Namen Deutschland.
Das gefiel dem kleinen Mädchen überhaupt nicht, so weit weg von der Heimat. Ihre Adoptiveltern waren Verwandte, die nach Deutschland ausgewandert waren.
Irina konnte weder ein Wort in dieser Sprache sprechen, noch war es ihr möglich die Menschen zu verstehen. Sie lebte in einer großen Stadt am Rhein.
Ihre Adoptiveltern schleppten sie, in den ersten Tagen, zu einer älteren Frau damit sie die deutsche Sprache erlernen sollte. Irina war von diesem Unterricht wenig begeistert, obwohl die alte Dame sich sehr um sie bemühte.
Der nächste fürchterliche Lebensabschnitt begann mit dem Besuch des Kindergartens. Kinder können auf ihre Art bekanntlich sehr grausam sein, sie mieden die Kleine, wo es nur ging. Die Jungen schubsten sie auf dem Gang hin und her oder bewarfen sie mit Spielzeug. Die Mädchen machten Grimassen und riefen ihre Worte hinterher, die sie nicht verstehen konnte.
Das machte Irina noch unglücklicher, neben dem Heimweh nach ihrem Sibirien, auch noch diese unmöglichen Kinder um sich zu haben. In den Nächten lag sie oft weinend in ihrem Bettchen.
Die Adoptivmutter Sonja machte sich große Sorgen. So sprach sie eines Tages mit ihrem Mann Dimitrij.
„Das geht so nicht weiter, die Kleine stirbt uns noch.“ Dimitrij saß in seinem gemütlichen Sessel und blickte von der Tageszeitung auf.
„Was willst du damit sagen, Sonja? Dem Mädchen geht es hier viel besser als in Sibirien.“
Die Frau schüttelte verärgert den Kopf.
„Du hast Mitgefühl wie ein Stück Brennholz!“
Dimitrij lachte laut. „Am Ende bleibt von mir Asche übrig.“
„Das ist kein Grund für Scherze, ich mache mir ernsthaft Sorgen wegen der Kleinen. Sie isst zu wenig, sie spielt kaum und Freude ist ihr ein Fremdwort.“
Dimitrij stand auf und nahm Sonja in die Arme.
„Gut mein Kleines und was machen wir jetzt?“
„Wir sollten mit der Deutschlehrerin reden.“
„Die ist keine Russin.“
„Das stimmt schon, nur sie verbringt jeden Tag mit unserem Mädchen ihre Zeit. Wir sollten ihr dankbar sein, wir könnten sie nicht bezahlen.“
Das sah Dimitrij ein. Die beiden Leutchen machten sich auf den Weg zur Lehrerin, deren Wohnung eine Straße weiter lag. Die alte Lehrerin hatte sie bereits schon erwartet.
„Ich habe mit ihrem Besuch gerechnet, ansonsten wäre ich gekommen. Bald schon ist Weihnachten und Irina ist immer noch traurig.“
Irina saß an einem Tisch und malte Bilder. Dimitrij schaute sich die Kunstwerke an und stellte erstaunt fest, die Kleine schien Talent zu haben. Was aber hatte die Malerei mit dem Deutschunterricht zu tun?
„Ehe sie fragen Herr Ivanov, Irina kann sich bereits schon gut unterhalten.“
Der Mann schaute die alte Frau mit großen Augen an. „Wieso spricht sie nicht zu Hause mit uns?“
Die Lehrerin bot den Adoptiveltern erst einmal an, Platz zu nehmen an ihrem Tisch. Sie stellte eine Kanne Kaffee auf den Tisch und bat ihre Gäste sich zu bedienen. Irina schaute von ihrem Zeichenblock auf und meinte.
„Die verstehen kaum Deutsch, nur zugeben wollen sie es nicht.“
Sonja sah zu dem Mädchen hinüber.
„Wir reden in unserer Wohnung russisch wegen Irina.“
Die alte Frau lächelte.
„Wie soll das Kind die Sprache lernen, wenn zu Hause eine andere Sprache gesprochen wird. Ich glaube, sie wissen überhaupt nicht was Irina fehlt?“
Dimitrij zuckte mit den Schultern.
„Was soll schon fehlen? Sie hat bei uns ein gutes Leben.“ Sonja trank einen Schluck Kaffee und hätte sich dabei fast verschluckt.
„Sie müssen entschuldigen, mein Mann hat eine andere Vorstellung vom Leben. Ein Kind braucht Liebe und Geborgenheit. Irina weint oft in der Nacht.“
Die Lehrerin nickte.
„Das weiß ich schon von ihr.“
Sonja verblüfft. „Das wissen sie?“
„Ich weiß noch viel mehr, das Kind hat den reinsten Horrortrip im Kindergarten auszustehen. Sie sollten wissen Kinder reagieren ihren mitgebrachten Frust, aus dem Elternhaus, gerne an den schwächeren Mitgliedern der Gesellschaft ab. Irina ist nun einmal in dem Sinne das Opfer. Sie hat bisher kaum die Sprache beherrscht und jetzt will sie sich nicht mitteilen. Das Kind hat immer noch nicht den Verlust der Eltern überwunden, noch schwerer wiegt aber der Verlust ihrer Heimat.“
Dimitrij schaute die Lehrerin verblüfft an.
„Liebe Frau, sie haben doch keine Ahnung wie es in Sibirien aussieht. Wir haben dort Holzhäuser und unsere Ausstattung ist auch in der heutigen Zeit noch weit entfernt von der in diesem Land.“
Die Lehrerin lächelt gütig.
„Es kommt für ein Kind nicht so sehr darauf an, wie komfortabel seine Welt ist. Kinderaugen sehen die Welt in einem anderen Licht, für die zählt die Katze, der Hund oder der nahe Spielplatz, die Freunde, sogar ein Holzhaus zuweilen mehr, als wir uns vorstellen können. Irina vermisst einfach Sibirien. Ich denke, es wäre ihr leichter gefallen sich einzugewöhnen, hätte die nähere Umgebung sie freundlicher aufgenommen. Wissen sie, wie ihre Nachbarn sie nennen? Sibirischer Bauerntrampel! Ein Junge nennt sie sogar: Die blöde sibirische Waldkatze! Das macht die Eingewöhnungsphase in ein neues Leben nicht leichter.“ Dimitrij schwieg betroffen. Sonja hingegen war wütend.
„Das lassen wir uns nicht gefallen. Ich werde diese unmöglichen Leute zur Rede stellen.“
Die alte Frau schüttelte verneinend den Kopf.
„Das wird kaum Erfolg bringen. Es wird immer wieder Menschen geben die Irina als ihren Blitzableiter nutzen werden.“
Das sah Sonja ein. So konnten sie Irina nicht helfen. Die Lehrerin verließ den Raum und kam einige Zeit später mit einer Stoffpuppe zurück.
„Das ist mein Weihnachtsgeschenk für Irina und sie soll es schon jetzt haben.“
Die alte Frau reichte die Puppe Irina. Das Mädchen schaute die Puppe an.
„Das ist eine sehr alte Puppe.“
„Das ist richtig mein Kind und sie hat auch ganz besondere Kräfte, du musst nur mit ihr sprechen. Diese Puppe spricht aber nur deutsch.“
Die Kleine lachte. „Das macht nichts mehr, ich beherrsche die Sprache schon viel besser.“
Die Lehrerin strich ihr über die Haare.
„Das wird schon werden, ich bin mir sehr sicher.“
Sie wendete sich an Dimitrij.
„Haben sie schon einen Weihnachtsbaum?“
„Nein.“
„Am Hintereingang steht ein Baum, ich habe ihn geschenkt bekommen. Was soll ich alte Frau noch mit einem Baum?“ Sonja kam eine Idee.
„Wissen sie was, wir sind ihnen Dank schuldig, kommen sie an Weihnachten zu uns. Irina wird sich sicherlich freuen.“ Die alte Lehrerin nahm die Einladung dankend an.
Die Familie Ivanov machte sich auf den Heimweg. Auf der Straße fragte Sonja.
„Wie heißt eigentlich deine Puppe?“
Irina, die Puppe fest an sich drückend.
„Wie die heißt? Tatjana, wie meine Mama.“
Sie schaut nach oben in den Sternenhimmel und dort leuchten zwei Sterne ganz besonders hell. Sie zeigt fragend nach oben. „Was sind das für Sterne?“
Dimitrij schaute nach oben in den Sternenhimmel.
„Ich sehe ein Meer voller Sterne. Du musst mir schon genauer deine Sterne beschreiben oder zeigen.“
So sehr sich auch Irina bemühte, Dimitrij konnte die beiden Sterne nicht ausmachen. Das Mädchen war keineswegs enttäuscht, diese Sterne mussten dann eben nur für sie leuchten.
Später in der Wohnung hatte es Ivana unheimlich eilig mit dem Abendessen und wollte auch sogleich in ihr Bettchen. Dimitrij und Sonia verstanden die Welt nicht mehr. Die Kleine redete mit ihren Adoptiveltern und ging ohne Murren zu Bett. Was war da geschehen?
Irina hingegen zog sich ihren Schlafanzug an, putzte artig die Zähne und verzog sich in ihr Zimmer. Sie hatte schließlich mit Tatjana ein Geheimnis zu bewahren.
In ihrem Bettchen wartet sie noch einige Zeit ab, ob nicht doch noch Sonja in ihr Zimmer kam um nach ihr zu schauen. Doch dann hielt sie niemand mehr länger in ihrem Bett. Tatjana im Arm kletterte sie auf den Tisch am Fenster und schaute durch das geschlossene Fenster nach oben in den Sternenhimmel. Sie flüsterte ganz leise.
„Wo seit ihr meine Glückssterne?“
Siehe da, mitten in der Sternenschar leuchteten zwei Sterne besonders hell auf. Irina war voller Freude. Sie küsste ihre Tatjana und zeigte der Puppe die beiden Sterne.
„Schau, Tatjana, meine Glückssterne! Weißt du wie sie heißen? Tatjana und Ivan, wie meine Eltern. Die werden mich jetzt immer begleiten und auf mich aufpassen.“
Ab diesem Tage leuchteten zwei Sterne besonders hell am Sternenhimmel und begleiteten Irina durch ihr ganzes Leben. Sie wurde zur Frau, heiratete einen Mann, gebar drei Kinder, führte ein schönes langes Leben.
Am Ende ihrer Tage, auf dem Sterbebett, starb sie mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht. Ihre letzten Worte waren.
„ Jetzt kommen meine Glückssterne mich abholen, Tatjana und Ivan.“
Auf ihrem Bett lag ihre alte Puppe. Ihre Kinder, die Enkelkinder und Urenkelkinder, konnten sich nicht erklären woher diese Puppe gekommen war. Sie hatten diese alte Puppe noch nie gesehen. Ein kleines Mädchen aber nahm die Puppe an sich und rief.
„Das ist Tatjana! Die gehört jetzt mir.“


©Bernard Bonvivant, Schriftsteller,
Autor des Romans Das Chaos

Dienstag, 22. Dezember 2009

Das Land der Zauberfeen

Märchen vom Autor des Romans „ Das Chaos

Das Land der Zauberfeen

Es war einmal zu einer Zeit da war die Welt noch mit einer wahren Fülle von Naturschönheiten ausgestattet.

Die Jahreszeiten waren noch Jahreszeiten und begegneten einander in Hochachtung. Nie wäre es der Frau Holle eingefallen ihre Bettwäsche im Frühling auszuschütteln. Nein! Solches tat sie nur zur Zeit des Herrn Winters. Im Frühling war es die Aufgabe der Zauberfeen das Land in ein Meer aus Blüten zu verwandeln.

Das Wasser aus den Felsquellen war glasklar und in den Bächen tanzten die Bachforellen. Mutig versuchten die Frösche ihr erstes Frühlingskonzert. Die Zauberfeen badeten im Wasser und lauter kleine Sternchen umgaben sie. Schlugen sie mit ihren zarten Händen, voller Freude jauchzend, auf die Wasseroberfläche, breiteten sich Fontänen aus kleinen, goldenen Sternchen um sie herum aus. Anschließend entstiegen sie dem Wasser und kleideten sich mit ihren weißstrahlenden Gewändern an.

Jede Zauberfee besaß einen eigenen Zauberstab mit ganz besonderen Fähigkeiten. Sie waren schon von ihrem ersten Tag auf Erden an, darauf vorbereitet worden, ihre Kraft konnte nur in der Gemeinschaft wirken. Der Verlust einer einzigen Fee mit ihren eigenen Fähigkeiten, würde große Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Welt haben.
So schworen sich die Feen nach jedem Bad auf ein Neues:
„Möge jede Fee, auf die Fee in ihrer Nähe achten!“

Das ging auch über viele Jahrhunderte gut, doch leider war die Welt lange nicht so Heil wie sie erschien. Die bislang einfachen Menschen, überwiegend lebten sie vom Landanbau und der Viehzucht begangen sich immer weiter zu entwickeln. Sie erlernten die Kunst das Schwert zu führen und damit auch den Kampf. Sie erfanden das Rad und damit auch die Möglichkeit endlich die Welt noch schneller zu erobern. Ihre Schiffe kreuzten die Meere. Ihre Heere zerstörten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Sie lernten schnell ihres Gleichen zu versklaven und anschließend bis auf das Blut zu quälen. Ihr Tatendrang kannte keine Skrupel, ihr Beutezug war ohne Beispiel, kannte keine Gnade.

So zogen sie erobernd durch die Welt und kamen dabei immer näher an die letzte Felsquelle mit glasklarem Wasser.
Die Zauberfeen hatten nun nicht nur hilflos mit anzusehen, wie sich die Jahreszeiten immer mehr untereinander in Fehde befanden. Nein! Nun wurden auch noch die Menschen zu einer wirklichen Gefahr.

So kam es, wie es kommen musste, an einem wunderschönen Herbsttag wurde die Zauberfee der Freude, in den Ardennen, von einem Kampfflugzeug erfasst und in ein schluchtartiges Flusstal gestürzt. Ab diesem Tag wurde die Freude auf dieser Welt nicht mehr gehegt und gepflegt und so starb sie mehr und mehr ab.

Als nächstes traf es die Zauberfee des Waldes. Eine Bande von Jugendlichen legte mutwillig an mehreren Stellen in einem Nationalpark Feuer. Die Katastrophe nahm ihren Lauf und die Zauberfee des Waldes verglühte in einem grellen Flammenstrahl.

Das Schicksal nahm seinen Lauf und fortan verging keine Woche ohne den Verlust von einer Zauberfee.

Das Bild der Welt veränderte sich mächtig, und die entfesselten Mächte des Bösen suchten ihre Opfer. Eine Naturkatastrophe jagte die Nächste.

An der letzten Felsquelle mit glasklarem Wasser badeten an einem letzten schönen Jahrestag die Zauberfeen. Bald schon würde die Eiseskälte der menschlichen Herzen ihre Quelle zu Eis erstarren lassen. Die letzte Bachforelle war gegangen, der letzte Ton des Frosches für immer verstummt. Leise bewegte sich das Wasser und drinnen funkelte immer noch ein kleines Meer aus goldenen Sternchen.

Ein kleines Mädchen näherte sich der Quelle. Sie blickte in das Wasser und lächelte freundlich.

„Mama, Mama, komme her! Schau doch! Ich habe die Quelle gefunden.“

Eine Frau mit einem Weidenkorb voller Pilze näherte sich der Quelle. „Sabine, du alte Träumerin, wir sind hier zum Pilze sammeln. Bleib da weg! Das Wasser ist schmutzig!“

Die Kleine hob den Kopf in Richtung der Mutter. „Das Wasser ist glasklar! Dies ist die Quelle von der immer die Oma erzählt hat. Das ist das Reich der Zauberfeen!“

Die Mutter stellte den Weidenkorb ab und näherte sich dem Wasser. „Du solltest nicht allen Unsinn glauben.“
Sie schaute in das Wasser und staunte. „Das Wasser ist wirklich glasklar. Wieso sind so viele kleine goldene Sternchen zu sehen?“

Sabine so hieß das kleine Mädchen nahm ihre beiden Hände und schöpfte das Wasser.

„Lass das bloß bleiben! Wer weiß was mit dem Wasser ist.“ „Mama, das sind die Zauberfeen.“ Sie nahm ihre rechte Hand und legte den Zeigefinger auf den Mund.

Leise flüsterte sie. „Du darfst sie nicht erschrecken. In der Geschichte der Oma heißt es: Legt ein unschuldiges Mädchen seine beiden Hände in die Quelle des Lebens, beginnt das Reich der Zauberfeen von Neuem. Die toten Feen werden auferstehen und die Welt wird sich unter ihrem Zauber von Neuem zum Guten verändern.“

Die Mutter schüttelte den Kopf. „Du und deine Oma, nichts als Flausen im Hirn! Es wird langsam Zeit den Ernst des Lebens zu begreifen, statt sich in das Land der Träume zu verziehen.“

Während sie das sagte, begann sich bereits die Quelle zu verändern. Das Wasser floss stärker. Auf einmal sprühten überall um sie herum goldene Sternchen. Die Mutter war sprachlos, viel zu sehr wurde sie ergriffen von einer grenzenlosen Freude und Leichtigkeit ihres Herzens. So etwas hatte sie ihren Lebtag noch nicht erfahren, so war sie erst einmal ganz still. Diesen kostbaren Augenblick galt es lange auszukosten. Wer wusste was noch so geschehen würde?

Sabine schaute derweil gespannt dem munteren Treiben zu.
Die Zauberfee der Freude, versprühte die meisten Sternchen. Sie setzte sich neben das kleine Mädchen und sagte leise. „Danke! Du bist gerade dabei die Welt vor dem sicheren Untergang zu retten.“

Die Zauberfee des Waldes frohlockte. „Jetzt werden die Wälder wieder ihren Platz in dieser Welt einnehmen. Das alles verdanken sie dem großen Herzen eines Kindes. Ein Herz mit mehr Liebe und Güte, als die Macht des Bösen je aufbringen kann. Die Sonne wird der Menschheit den Weg in eine goldene Zeit weisen.“

Immer mehr Zauberfeen entstiegen der Quelle und sie murmelten den Zauberspruch: „Möge jede Fee, auf die Fee in ihrer Nähe achten!“

Von diesem Tag an, wurde das Leben jeden Tag ein Stück mehr lebenswert. Der Hass aber verglühte in der Wärme der Liebe, die in den Herzen der Menschen erwachte. Das Land der Zauberfeen war endlich von einem Alptraum befreit und überall begann das Zeitalter des Friedens auf dieser Welt.


© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

Donnerstag, 11. Juni 2009

Eine Liebe in Frisco

Es war an einem 12. Oktober als ich Deutschland für immer den Rücken kehrte. Meine Entscheidung stand fest und mit ihr auch mein Weg. Ein alter Kumpel aus Kalifornien hatte sich an mich erinnert und behauptete er schulde mir noch einen Gefallen. Um ehrlich zu sein, ich konnte mich nicht daran erinnern.

Die Idee mir einen Job in Kalifornien anzubieten, ausgerechnet in meiner Lieblingsstadt Frisco war aber so verlockend, dass ich dem Ruf folgte. Mein Freund hatte mir sogar die Greencard besorgt. Im Leben passieren manchmal eben merkwürdige Dinge, am Vortag noch in der tiefsten Schlammassel und am nächsten Tag heiterer Sonnenschein.

Ein Lächeln auf den Lippen passierte ich die Kontrollen und begab mich in den Warteraum. Die nächste Zeit verbrachte ich mit der Beobachtung meiner Mitreisenden. Irgendwann wurde der Schalter geöffnet und die Menschen beeilten sich ihre Sitzplätze zu ergattern. Ich schaute dem Treiben zu und wartete bis zum Schluss. Im Grunde war mir egal wo ich sitzen würde. Zu meiner großen Überraschung hatte ich aber ohne große Anstrengung einen guten Sitzplatz abbekommen. Ich lief hinter der Herde her und folgte in das Flugzeug.

Was dann geschah, dazu gab es später unterschiedliche Meinungen, das Ergebnis selbst wurde davon nicht abgeändert. Ich hatte jedenfalls einen Moment nicht aufgepasst und dann hielt ich plötzlich etwas in meinen Armen. Es war weich, zart, duftete angenehm und hatte die schönsten Augen dieser Welt. Wer von uns wen küsste? Wir haben übereinstimmend ausgesagt wir wollten es gemeinsam. So trafen sich unsere Münder und ich wollte nicht mehr loslassen, bis mich eine Hand an meiner Anzugjacke zog.

Augenblicklich trennten sich unsere Leiber und ich blickte ein wenig verärgert in das Gesicht einer blonden Stewardess, es war Charlotte Hanson. Sie lächelte mich freundlich an und sprach leise. „Ihr zwei Verrückten habt wohl den Verstand verloren. Sie können doch nicht einfach unsere Chef - Stewardess küssen. Was sollen den die Passagiere denken, wenn so was einer mitkriegt und sich beschwert ist Helen ihren Job los. Verschiebt euer amouröses Abenteuer auf San Fransisco. Wir haben dann 3 Tage frei.“

Ich hatte nicht nur weiche Knie, auf dem Weg zu meinem Platz, ich spürte auch nicht vorhandene Blicke. Helen hingegen verzauberte mich total, sie lachte mich an und jeder unserer Blicke entführte uns tiefer in eine neue betörende Liebe. Während des langen Fluges hielt ich immer wieder Ausschau nach ihr und sie kam auch immer wieder rein zufällig an mir vorbei. Das konnte irgendwie nicht wahr sein, hatte ich doch die feste Absicht mir keine neue Beziehung einzuhandeln. Stattdessen war ich schon wieder mittendrin in einer Geschichte, die am Ende doch wieder nur Schmerzen und bittere Tränen bereit hielt.

Nein! Dieses Mal war es anders zumindest glaubte ich es so. Eine Flugstunde vor Frisco stand Helen neben mir und tippte mich an. Sie hielt einen Zettel in der Hand und beugte sich zu mir herab. Am liebsten hätte ich sie geküsst, rechtzeitig gingen aber noch die Warnlampen an. Ich öffnete meine rechte Hand und sie ließ ihre rechte Hand langsam über die meinige gleiten.

Das war wie Elektrizität, eine unglaubliche Woge an Gefühlen überkam mich. Augenblicke später war Helen schon wieder davon geschwebt. Verstohlen blickte ich mich um, der Typ neben mir schnarchte und die anderen Passagiere hatten diesen Moment ebenso wenig beobachtet. Behutsam nahm ich den Zettel und faltete ihn auseinander. Es war eine genaue Beschreibung an welcher Stelle am Flughafen der Wagen von Helen stand. Sicherheitshalber hatte sie mir sogar eine Adresse und die Telefonnummer aufgeschrieben.

Ich nickte wissend, die Würfel waren gefallen und einen Ausweg würde ich erst gar nicht suchen. Einige Zeit später setzte die Maschine zur Landung an und wie so oft bei Flügen brandete der Beifall der Passagiere durch das Flugzeug. Ich verließ die Maschine zehn Minuten später. Charlotte Hanson fragte leise. „Und gibt es ein Happy-End?“ Ich nickte nur. „Ich wünsche euch viel Glück.“

Ich machte mich mit meiner Greencard und meinen Koffern auf den Weg in meine neue Heimatstadt. Was soll ich sagen, ich wurde herzlich begrüßt. Die Formalitäten waren innerhalb kurzer Zeit erledigt und ich stand sehr schnell vor den Türen des Airport.

Ich nahm meinen Zettel aus der Jackentasche, er roch nach ihrem Parfüm. Helen hatte mir extra eine kleine Zeichnung gemacht damit ich mich auch nicht verlaufen konnte. Irgendwie war ich eine Viertelstunde später richtig stolz auf mich. Es war mir gelungen das Fahrzeug zu finden doch von Helen fehlte jede Spur. Ich stellte meine Koffer ab und wartete.

Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir und bevor ich sie sah, roch ich ihr Parfüm. Ein Lächeln und ich schmolz dahin wie Eis in der Sommerhitze. Wir nahmen uns in den Arm und küssten uns, während hinter uns ein paar Leute in di Hände klatschten. Es waren Charlotte Hanson, Der Flugkapitän Richard King und der Copilot Jeff Brown. Richard King reichte mir die Hand. „Ich habe keine Ahnung und ich weiß auch nicht das Geringste, was bedeutet es gibt auch keine Meldung. Wenn Sie mir aber meine Helen unglücklich machen, dann steige ich ihnen persönlich auf das Dach. Ich hoffe Sie haben mich verstanden.“ Der Mann meinte es gut und dafür dankte ich ihm.

Helen wohnte in einer schönen Wohnung nahe Fisherman‘s Wharf. Das gefiel mir gleich, ich liebe dieses Viertel, die Nähe zur sauberen Bay. Die vielen Stellen an denen Fische und Meeresfrüchte verkauft werden. Der Geruch des Wassers und nicht zu vergessen Ghirardelli Square, die alte Schokoladenfabrik. Ich hatte hier schon so manche Stunde gesessen bei einem Kaffee und der Musik gelauscht. Das waren schon einzigartige Momente, wenn eine Band aus der Karibik Reggae Feeling verströmte und es passte. Das Wetter, die Laune und vor allem die Einstellung. „Take it easy“.

An jenem Tag hatten Helen und ich aber sicher keine Augen für die Schönheiten dieses Viertels, wir hatten ausschließlich Augen nur für uns. Wir erkundeten uns, betörten und berauschten uns, brachten Gefühle und Zärtlichkeit zum Ausdruck. Ich konnte mich nicht erinnern jemals in meinem Leben so ein Glück empfunden zu haben.

Am nächsten Tag erkundigte sich Helen vorsichtig, wie ich mir mein weiteres Leben vorstellen würde. Ich könnte durchaus wenn ich wollte eine Zeit bei ihr wohnen. Die Wohnung war groß, sie bot durchaus die Möglichkeit für zwei ohne Probleme darin zu wohnen. Kurz entschlossen sagte ich ja und wir wussten es war ein Ja zum Leben und zur Liebe. Wir verbrachten den Samstag und den Sonntag miteinander.

Am Montagmorgen brachte ich meine Liebe zum Flughafen. Mein Weg führte mich anschließend zu Jacob Simon, sein Büro lag im Stadtteil Soma. In diesem Teil der Stadt lagen die Galerien und wurden Geschäfte der Künstler abgewickelt. Jacob freute sich mich endlich zu sehen.

„Ich dachte, du besuchst uns am Wochenende, stattdessen warst du nicht einmal in deinem Hotel anzutreffen. Wo bist du bloß abgeblieben?“ „Jacob, es hat mich voll erwischt, ich bin mitten in einem Liebeshoch.“

Jacob schlug die Hände zusammen. „Ach du Scheiße! Bist du blöd, kannst du doch nicht machen. Bist du Schriftsteller und kein Casanova! Habe ich dir eine gute Partie ausgesucht, eine echte Dame mit viel Geld.“ „Du hast, was?“ „Ja, hörst du richtig, habe ich gespielt den Kuppler. Musst du werden groß und reich, glücklich in den Armen einer Frau wird nicht reichen. Du bist in Amerika, da musst du anders denken.“

Ich nickte, solches war mir zwar bekannt, doch gegen die wahre Liebe ist nun einmal kein Kraut gewachsen. Ich erzählte ihm meine ganze Geschichte. Während meines Vortrages wurden seine Sorgenfalten immer länger. Das wunderte mich nicht, wie sollte auch ein so anständiger Mensch wie er es nun einmal war, einen temperamentvollen Freigeist wie mich verstehen.

Zum Lunch waren wir mit meinem neuen Auftraggeber einem der bekanntesten Fernsehproduzenten der Welt verabredet. Entsprechend dem Anlass trafen wir ihn im besten Lokal der Stadt in Chinatown. Vor vielen Jahren hatte ich schon einmal hier diniert mit einem Menschen der in meinem Leben einst eine große Rolle gespielt hatte. Leider war er vor einigen Jahren verstorben und ich musste zu geben, einen Mäzen oder Sponsor zu finden war schon immer schwer und in der Kunst der Worte noch schwerer.

Dieses Restaurant war ein guter Ort, wir wurden uns handelseinig und ich mit einem Schlag endgültig alle finanziellen Sorgen erst einmal los. Ich war mittendrin im Puls des Business und mit einer festen Serie und einem Job als Ideenfinder vorerst in einer sicheren Zone. Jacob Simon war sehr zufrieden, nur das Thema mit der von ihm ausgewählten Dame, da musste noch eine Lösung her.

Er ließ mir in den nächsten beiden Tagen keine Ruhe und so gab ich nach, traf mich mit der Dame zum Lunch, ging mit ihr spazieren und besuchte Galerien. Eine weitere Annäherung gab es aber nicht und ich erzählte es meiner Helen am Telefon.

Diese Entscheidung war weniger klug, Helen bekam die Nachricht wohl in den falschen Hals. An dem Wochenende hatte ich jedenfalls schon den ersten Scherbenhaufen zu kitten, doch es gelang mir mit Engelszungen und sehr sorgfältig gewählten Worten.

Die Wolken über unserem Liebesglück verzogen sich und die Sonne beschien unser Glück. Der Winter kam und auch der Frühling zog ins Land, der Erfolg war auf meiner Seite. Es waren mir sowohl der gesellschaftliche Aufstieg wie auch die feste Beziehung gelungen. Im Sommer wurde Helen immer stiller. An einem schönen Sommerabend saßen wir in einem Fischrestaurant am Pier. Ich sah dem Treiben im Wasser zu, den Faulpelzen auf den Felsen und den kreischenden Seemöwen und hielt dabei die Hand von Helen.

War es der Augenblick, der Zauber jenes Abends, Helen sprach plötzlich über ihre Ängste und Sorgen. Ich sah in ihre Augen und mir wurde bewusst es war etwas sehr wichtiges. Meine kleine Fee hatte plötzlich Angst vor dem Fliegen, erzählte von Alpträumen und einem Absturz ihres Flugzeuges. Sie erzählte von Leichen und dem Geruch von Kerosin, den im Wasser umhertreibenden Wrackteilen. Es war so real, ich gebe zu, ich war geschockt.

Ich verstand ihre Bedenken und am liebsten hätte ich sie nicht mehr in ein Flugzeug gelassen. Es gab ein klärendes Gespräch mit der Airline und Helen wurde zum Bodenpersonal versetzt. Sie durfte sogar in San Francisco bleiben und darüber freuten wir uns wie die Kinder. Im Gegenzug wechselte ihre alte Freundin, Susan Miller, zurück in die Kabine.

Susan hatte ihren Mann verloren, er war tödlich verunglückt bei einem Fallschirmabsprung. Helen war überglücklich, sie lebte geradezu wieder auf. Plötzlich war es wieder auf ihrem Gesicht, das Strahlen und der liebevolle Blick.

Ich hingegen verstand nicht so ganz was dieser Tausch sollte. Susan hatte zwei kleine Kinder für die wir jetzt sorgten. Helen hingegen entwickelte sich immer mehr zur Glucke. Ich trug es mit Fassung. Wir bezogen ein Haus in Sausalito. Ich suchte in der ganzen Geschichte einen Haken, doch ich fand ihn vorerst nicht.

An einem Septembernachmittag kam die Wende. Deborah, die vierjährige Tochter von Susan, kam mit ihrer Puppe im Arm in mein Arbeitszimmer marschiert. Sie blieb vor mir stehen, schaute mich mit großen fragenden Augen an. Ich hörte mit meiner Arbeit am Computer auf, es waren sowieso nur noch ein paar Kleinigkeiten zu ändern in meinem Manuskript.

„Deborah, was gibt es? Wenn du dich so vor mir aufbaust, dann hast du meistens eine Menge Fragen an mich.“ Die Kleine nickte mit dem Kopf. „Gibt es einen Himmel? Ich meine wo meine Mama doch tot ist, die wird doch sicher ein Engel, der auf mich aufpasst.“

Erschüttert sah ich auf die Kleine herab. „Wie kommst du auf die Idee deine Mutter wäre tot? Deine Mama ist mit dem Flugzeug unterwegs.“

Das Mädchen legte ihre Puppe auf meinen Schreibtisch. „Ich weiß es, ich habe es gesehen. Mama ist tot, das Flugzeug ist abgestürzt. Mama hat mir auch gesagt zu Hause liegt ein Brief für euch. Ich denke wir sollten ihn holen. Mama hat gesagt ihr werdet uns adoptieren.“

Es gibt Momente im Leben, die einen geradezu zur Sprachlosigkeit verdammen, selbst ein hartgesottener Autor bleibt dann still. Ich wusste nicht was ich sagen sollte und ich wusste nicht wie ich es sagen sollte. Helen war gerade vom Flughafen gekommen und hatte in der Tür stehend das Gespräch mitbekommen. Sie sprach in die Stille.

„Ich weiß Deborah, wir werden das Schreiben abholen. Es ist etwas Schreckliches passiert!“ Sie nahm die Kleine auf den Arm, verließ wortlos das Haus.

Ich schüttelte den Kopf, starrte hinaus auf den Pazifik. Meine kleinen grauen Hirnzellen weigerten sich dieses Drama verstehen zu wollen. Es schien als wären Stunden vergangen, in Wirklichkeit waren es nur 120 Minuten. Während ich noch die Antwort auf dem Pazifik suchte, hielt mir Helen den Brief unter die Nase.

Ich las ihn zweimal und sicherheitshalber noch ein drittes Mal. Wie konnte ein Mensch wissen wann er starb? Susan beschrieb ihre Vorahnung, dass sie bewusst mit Helen getauscht hatte. Sie hatte sich gewünscht zu ihrem toten Mann zu gelangen. Diesen Tod hatte sie einfach nicht verkraftet. Ihre beiden Kinder wusste sie bei ihrer Freundin Helen in besten Händen. Wir sollten den Kindern eines Tages dieses Drama erklären.

Ich ließ den Brief sinken und mir wurde schlagartig bewusst welches große Glück Helen gehabt hatte. Auf der Trauerfeier für die Toten Mitglieder der Crew war meine Überraschung riesengroß. Ich traf auf Charlotte Hanson, den Flugkapitän Richard King und den Copiloten Jeff Brown, alle diese Personen hatten sich bereits seit einigen Wochen in schwersten persönlichen Krisen befunden, weshalb sie ihren Dienst nicht antraten. Sie wurden von den gleichen Alpträumen verfolgt.

Wir wussten, so etwas passte in kein normales Erklärungsmuster, Psychologen würden die unterschiedlichsten Begründungen finden, doch für uns Alle spielte dies keine Rolle.

Helen und ich haben geheiratet. Wir haben die beiden Kinder von Susan adoptiert. Wir leben immer noch glücklich in unserem Haus in Sausalito. Wir treffen uns regelmäßig mit den anderen Überlebenden des Katastrophenfluges, deren Glück darin bestand der eigenen Intuition gefolgt zu sein. Charlotte Hanson wohnt mittlerweile in unserer Nachbarschaft und Richard King lebt auf einem Hausboot. Jeff Brown lebt mit seinem Freund in unserer alten Wohnung nahe Fisherman‘s Wharf.

Fragt uns einer wo die Liebe liegt, dann antworten wir in Frisco.

© Bernard Bonvivant

Sonntag, 31. Mai 2009

Das Glück wohnt überall

Ich sitze auf einer Bank in der U-Bahnstation. Die U1 fährt
ein, doch ich bleibe sitzen. In meinem Inneren toben sich Gefühle aus, denen gegenüber ich machtlos bin. Seit ich weiß, Angelika mich die ganze Zeit betrogen, ist meine Welt nur noch Schutt und Asche. Ausgerechnet der eigene Kollege steigt mit der ins Bett und ich Trottel merke es nicht einmal. Wer wohl davon alles weiß?
Keine Frage, die ganze Firma! Hinter meinem Rücken tuscheln sie, grinsen mir hämisch in mein Gesicht. Nie wieder eine Rothaarige! Nie wieder eine Frau!
Ich starre auf die Werbung an der gegenüberliegenden gekachelten Wand der Station.
Jeden Morgen lasse ich so mehrere U1 an mir vorüberziehen um dann irgendwann einzusteigen. Die Folgen sind klar und deutlich, jeden Morgen zu spät am Arbeitsplatz. Ich könnte kotzen, wenn ich die Fresse von dem Typ sehe.
Der Kerl sagt doch zu mir. „ Sieh es sportlich, der bessere Hengst gewinnt.“
An dem Morgen hätte ich ihn am liebsten zu Kleinholz verarbeitet. Warum ich es nicht tue?
Ich bin ein Feigling, jawohl ein Feigling. Mein ganzes Leben bin ich solchen fiesen Ärschen aus dem Weg gegangen.
Was soll ich tun?
Die U1 fährt ein und mir ist bewusst, die muss ich auf jeden Fall nehmen. Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Ich blicke auf die neben mir stehende Person. Eine junge Frau um die dreißig, sie strahlt mich förmlich mit ihrem Lächeln an.
„Jetzt wird es aber Zeit, schließlich kann man nicht jeden Tag zu spät kommen. Nicht wegen einer Frau, die schon mit der halben Firma geschlafen hat.“
„Die was?“
„Sie haben schon richtig gehört. Die hat sie nach Strich und Faden betrogen und sie armer Mensch haben es nicht einmal bemerkt. Die wird auch nicht bei dem Neuen bleiben. Die nicht! Außerdem kriegt der richtig Ärger, wenn der Alte das rauskriegt.“
Ich schaue sie verblüfft an. „Der etwa auch?“
„Ja, der steht auf Domina hat sie selbst gesagt. Wir müssen los, das ist unsere letzte Chance noch in der Kernzeit anzukommen.“
Ich stehe auf und gehe wie in Trance zu den offenen Türen des Zuges. Die junge Frau folgt mir und stellt sich neben mich.
„Und wer sind sie?“
Sie lächelt mich schon wieder an.
„Das wissen sie nicht? Wundert mich eigentlich nicht, sie übersehen mich ständig.“
„Ich muss doch wohl bitten. Im Haus grüße ich jeden Menschen; nur manche erwidern den Gruß nicht mehr.“
Die Frau streicht sich durch ihr langes blondes Haar, einem Engel gleich.
„Das ist doch nicht verwunderlich, so wie sie sich von diesem Biest verschaukeln lassen.“
„Denken sie etwa, ich bin Schuld?“
„Zumindest hätten sie Konsequenzen ziehen sollen.“
„Ich? Das ist jawohl die Höhe! Ich bin Mitte vierzig, glauben sie etwa ich finde so von heute auf morgen einen neuen Job.“
Die junge Frau lacht laut auf.
„Das habe ich nicht so gemeint. Warum wohnt Angelika noch in ihrer Wohnung?“
Ich ringe förmlich nach Luft.
„Wohnen ist gut, die kommt doch fast nicht mehr vorbei.“
„Eben, da hätte ich ihr die Koffer vor die Tür gestellt. Es ist doch ihre Wohnung?“
„Natürlich ist es meine Wohnung!“
„Warum haben sie es nicht getan?“
„Das geht zu weit! Ich habe immer noch geglaubt sie kommt zurück.“
Die junge Frau streicht mit ihrer Hand über meinen linken Oberarm, besser gesagt meinen Mantel.
„Sie armer, armer Irrer. Gehen sie zum Chef und verlangen sie versetzt zu werden.“
Ich schaue sie ungläubig an.
„Ich soll was? Das geht doch nicht!“
„Mann, zeigen sie endlich einmal Biss, beweisen sie ihre Stärke. Drohen sie mit Kündigung falls er nicht bereit ist sie zu versetzen. Übrigens dieser Wolfgang hat ganz schöne Scheiße gebaut, ich sage nur Spesenbetrug. Er hat ein Wochenende mit Angelika als Geschäftsreise abgerechnet.“ Ich bin verblüfft, der traut sich allerhand.
„So blöd kann er nicht sein.“
„Es geht hier nicht um blöd sein. Er ist einfach nur zu leichtsinnig und selbstsicher, dieser arrogante Fatzke.“
„Ich kann es nicht fassen! Wie heißen sie eigentlich?“
„Mit der Frage habe ich in diesem Leben nicht mehr gerechnet. Ich heiße Anna Liebermann.“
„Was? Dann sind sie die neue rechte Hand vom Chef!“
„Zeigen sie einfach Mal nur ihre Beißerchen, der Rest erledigt sich von selbst.“
Wir steigen an der U-Bahnstation City aus und gehen gemeinsam zu unseren Arbeitsplätzen. Das bleibt natürlich den wachsamen Augen nicht verborgen. Die beiden Frauen am Empfang tuscheln, ich kann jedes Wort mithören.
„Ist dir schon aufgefallen, die Liebermann kommt neuerdings immer mit dieser Flasche von Harald Hübschen.“
„Was die wohl an der Null findet?“
In meinem Büro ist es nicht anders. Der Fiesling grinst mich unverschämt an.
„Na schönen Abend gehabt, so allein in der Wohnung. Ich habe gestern am Abend gemütlich drei Nummern geschoben.“ Ich hänge meinen Mantel an die Gardarobe, setze mich an meinen Schreibtisch und beachte den Kerl nicht. Das Lästermaul kann es trotzdem nicht lassen, erzählt Einzelheiten aus seinem Frauenverwöhnprogramm. Irgendwann stehe ich auf und gehe mir am Kaffeeautomaten einen Kaffee besorgen. Natürlich treffe ich dort auf die Rothaarige, in meinem grenzenlosen Frust teile ich meine Entscheidung mit.
„Übrigens Angelika, du kannst deine Koffer abholen.“
Sie dreht sich zu mir um, schaut mich entrüstet an.
„Du wagst es dich meine Koffer vor die Tür zu stellen! Weißt du kleines Arschloch eigentlich wer ich bin?“
„Ja, du bist die Frau, die ich mir gerne in meinem Leben erspart hätte.“
Anna die gerade zur Tür hereinkommt, lächelt zuckersüß. Angelika bemerkt dazu nur.
„Dir dummen Gans vergeht hier in diesem Laden auch noch das Lachen. Ich werde hier die Chefin!“
Anna sagt trocken.
„Das glaube ich kaum, der Posten ist bereits vergeben.“ Angelika verzieht ihr Gesicht zu einer grässlichen Fratze, donnert wie ein ICE davon. Ich stehe im Raum, schaue Anna an.
„Ich denke, du hast dir gerade eine Todfeindin geschaffen.“ Sie schließt den Kühlschrank dreht sich um.
„Heute ist der Tag an dem bei dir die Wunder geschehen. Ich hatte kaum in diesem Leben mehr damit gerechnet, dass wir uns duzen.“
Ich bin betroffen, habe die Grenze des Anstandes überschritten. Wie kann ich sie einfach nur so duzen. Ein sehr bedauerliches Missgeschick.
„Tut mir leid, ich habe mich daneben benommen.“
„Wieso? Was glaubst du, wie lange ich schon darauf warte von dir beachtet zu werden?“
Das habe ich so noch nicht gesehen, die ist doch zu jung für mich.
„Ich denke wir haben doch einen gewissen Altersunterschied zu beachten.“
Ehe ich mich versehe, steht sie vor mir, küsst mich mitten auf den Mund. Und was tue ich?
Ich erwidere natürlich den Kuss. Das kann sicher noch heiter werden. Dieser kleine Anlass wird bestimmt gleich wieder über alle Klatschkanäle laufen. Hat uns jemand gesehen?
An meinem Schreibtisch versuche ich mich wieder zu sammeln. Die Situation ist keineswegs ideal, insbesondere will ich nicht, dass Anna zum Gerede der Belegschaft wird. Ich male auf meiner Schreibtischunterlage eine Menge Unsinn. Das hilft, irgendwann ist mein Entschluss gefasst. Ich werde kündigen! Nur Mut, am einfachsten ist es gleich zur Tat zu schreiten. Ich gehe zu Willibald Fröhlich, dem Hauptgesellschafter, dem Chef, in diesem Laden. Das Vorzimmer ist leer, so gehe ich direkt in sein Büro. Er lächelt mich freundlich an.
„Na Harald, wo drückt der Schuh? Endlich zur Besinnung gekommen? Ich hoffe du hast diese Angelika endlich vor die Tür gesetzt. Diese Frau taugt nicht viel für ein gemeinsames Leben.“
Ich setze mich in den Sessel vor seinem Schreibtisch.
„Ich bin gekommen um zu kündigen.“
„Du willst was?“
Der Chef scheint überrascht zu sein.
„Ich kündige!“
Willibald Fröhlich schaut zum Fenster hinaus.
„Das geht nicht mein Lieber, ich habe andere Pläne mit dir vorgesehen.“
„Ich halte es nicht mehr aus mit diesem Wolfgang Groß in einem Büro.“
Der Chef schaut mit einem Schmunzeln auf den Lippen herüber.
„Das habe ich schon kommen sehen. Du bekommst das Büro nebenan.“
„Wie nebenan? Das ist doch ein Geschäftsführerbüro!“
„Hast du etwa damit ein Problem?“
„Das ist schön und gut, nur da gibt es noch eine andere Frau. Sie heißt Anna und arbeitet hier, die will ich nicht zum Gesprächsstoff der Mitarbeiter machen. Übrigens laut Gerüchten soll Wolfgang Groß bei seinen Spesenabrechnungen betrogen haben.“
Willibald Fröhlich schaut nach einem Schreiben auf seinem Schreibtisch und lacht laut auf.
„Das mein Lieber erklärt mir sehr viel. Du weißt überhaupt noch nicht welchen großen Dienst du mir erwiesen hast. Die Kündigung habe ich noch nicht angenommen. Wir reden noch einmal darüber, ich schlage vor, bei einem Abendessen.“
„Abendessen?“
„Richtig, heute um 19.00 Uhr, in den Elsässer Stuben.“
„Warum nicht in einem unserer Stammrestaurants?“
„Harald, ich habe meine Gründe. Wir sehen uns also am Abend und sei bitte zur Abwechslung einmal pünktlich.“
Ich verlasse das Büro und denke so bei mir, sehr merkwürdig.
Er bietet mir ein Büro neben seinem an, ein Abendessen. Das sieht wahrlich nicht nach Kündigung aus. Die arme Anna würde hier keine ruhige Minute mehr haben, sobald Angelika eine Beziehung mit mir feststellen würde.
Auf dem Weg zu meinem Büro begegnet mir Wolfgang.
„Mache mir Platz, ich habe einen wichtigen Termin beim Chef.“
Wenige Augenblicke später stürmt Angelika an mir vorbei.
„Na du Flasche, ich werde jetzt hier Chefin.“
Anna treffe ich im Aufenthaltsraum, sie hat sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank genommen. Ihr Lächeln zaubert meine düsteren Gedanken weg, mit einmal schwebe ich durch einen hellerleuchteten, warmen Raum. In diesem Moment treffen sich unsere Lippen zu unserem zweiten Kuss an diesem Morgen. Augenblicke später, für mich sind das eher Stunden, erzähle ich ihr von meiner Kündigung. Sie reagiert für meine Begriffe sehr besonnen.
„Harald, mache dir keine Sorgen, im Leben kommen manchmal die tollsten Überraschungen vor. Wir schaffen es gemeinsam, davon bin ich felsenfest überzeugt.“
An meinem Schreibtisch bewundere ich diese schöne Frau, die mit soviel Hoffnung und Power durch das Leben geht. Wo ist bloß meine Zuversicht und meine Lebensfreude geblieben?
Ich spüre, wie sie langsam zurückkehrt, das Glück wohnt überall. Du musst es nur sehen wollen.
Am wenigsten möchte ich meinen Kollegen sehen. Dieser Wunsch wird mir für den Rest des Tages erfüllt. Ich muss noch öfters in einige andere Büroräume, nur Angelika ist auch nirgends zu sehen. Insofern ist es für mich ein gelungener Arbeitstag. Ich lache und scherze wieder, gewinne von Minute zu Minute wieder an verloren geglaubtem Boden zurück.
Vergnügt trete ich mit der U-Bahn meine Heimfahrt an. In meiner Wohnung erwartet mich die nächste angenehme Überraschung, die Rothaarige hat das Feld geräumt. Den Wohnungsschlüssel hat sie artig auf die Kommode in der Diele gelegt.
Ich setze mich in mein Wohnzimmer und atme befreit auf, so als sei eine schwere Last endlich von meinen Schultern genommen worden. Dabei schießt ein Gedanke durch meinen Kopf:
„Anna!“
Voller Freude und Tatendrang gehe ich unter meine Dusche, kleide mich anschließend für das Abendessen an. Auf dem Weg zu dem Restaurant fällt mir ein:
„Ich habe nicht einmal ihre Adresse erfragt, noch ihre Handynummer. Wie dumm von mir. Das werde ich gleich Morgen in Ordnung bringen. Überhaupt, warum soll ich kündigen, sollen doch diese beiden Störenfriede gehen. Können die nicht vielleicht sogar gekündigt werden? Nein, so grausam bin ich auch wieder nicht. Das könnte sehr schnell als Rache ausgelegt werden.“
Das Restaurant liegt in einer Seitengasse und ich verlaufe mich prompt. Ein älteres Ehepaar zeigt mir den richtigen Weg. Dank dieser Hilfsbereitschaft treffe ich noch pünktlich in dem Restaurant ein.
Willibald Fröhlich sitzt bereits an einem Tisch und winkt mir zu, dabei blickt er auf seine Armbanduhr.
„Alle Achtung, der Harald ist wieder zuverlässig und pünktlich.“
Ich lege meinen Mantel ab, setze mich an den Tisch.
„Ich war doch immer zuverlässig und pünktlich.“
Der Boss lächelt amüsiert.
„Lassen wir die letzte beschissene Zeit außen vor, dann stimmt diese Aussage sogar. Ich denke, ich sollte nicht päpstlicher sein, als der Papst. Außerdem habe ich auch einiges an Fehlern gemacht.“
Solche Worte aus dem Munde des großen Chefs erstaunen mich doch sehr. Ein Blick über den Tisch sagt mir, wir sind zu dritt. Willibald sieht genau meinen fragenden Blick.
„Ja, unsere neue Geschäftsführerin kommt ebenfalls zum Essen. Aus diesem Grunde habe ich auch dieses Restaurant gewählt. Es wird noch früh genug publik werden.“
Am liebsten würde ich jetzt unter den Tisch kriechen. Neue Geschäftsführerin? Hat dieses Luder es also doch hingekriegt. Diesen Triumph will sie sich wohl nicht entgehen lassen.
„Das war zu erwarten gewesen.“
Willibald nickt freundlich.
„Ja das war es. Ich möchte, dass du Sie unterstützt.“
Ich denke, ich habe mich verhört. Diese Worte muss ich erst einmal verdauen.
„Ich? Du weißt schon wie ich zu ihr stehe?“
„Natürlich und ich denke ihr packt es gemeinsam. Sie ist jedenfalls fest davon überzeugt.“
Das kann heiter werden, Angelika und ich. Mein Gott, er muss doch wissen, dieser Deal geht in die Hose. Ich merke bereits das Adrenalin in meinem Blut und dann rieche ich noch einen mir seit diesem Tag vertrauten Geruch.
Ein zarter Parfümnebel setzt meine Gefühle in Wallung. Das kann nicht sein, vielleicht ist es nur eine Sinnestäuschung. Willibald schaut mich besorgt an.
„Ist dir schlecht?“
„Nein! Ich bin nur leicht verwirrt.“
„Wegen Anna?“
„Anna? Wieso eigentlich Anna?“
„Jetzt sage bloß nicht Angelika wäre dir an der Stelle angenehmer.“
„Nein! Ich bin nur überrascht.“
Anna genießt diesen Moment, setzt sich an den Tisch. Ihr Lächeln vertreibt alle meine Ängste. Das ist der Moment indem ich wieder anfange auf Wolken zu schweben. In meinem Bauch macht sich ein Heer voller Schmetterlinge zu schaffen. Anna gibt Willibald einen Kuss links und rechts auf die Wange. Ich bekomme den dritten Kuss für diesen Tag auf den Mund. Während ich noch ihre Lippen auf den meinen wähne, höre ich ihre Worte in weiter Ferne.
„Papa, habt ihr schon von den Veränderungen gesprochen.“ „Papa? Wieso Papa?”
Anna kneift mich in die Seite.
„Das ist mein Vater! Sag bloß du hast das nicht gewusst?“
„Nein!“
Willibald Fröhlich amüsiert sich köstlich.
„Na, dann Anna, ist er auch nicht hinter deiner Mitgift her. Ich glaube, ich muss ihn aufklären. Ich habe Wolfgang Groß und unserer Angelika fristlos gekündigt. Groß hat in der Tat Spesenbetrug begangen, geglaubt er würde nie auffallen. Er war sich einfach nur zu sicher. Angelika hat mein Vertrauen missbraucht, sie hat Firmengelder auf ein Konto in Luxemburg abgezweigt. Die Anzeige gegen sie läuft bereits. Anna Liebermann ist meine Tochter aus der Beziehung mit ihrer Mutter Gerda. Ich habe sie damals als leibliche Tochter anerkannt. Sie ist bei ihrer Mutter aufgewachsen, hat studiert und wird jetzt meine Nachfolgerin. Harald, du wirst zweiter Geschäftsführer. Am Ende erlebe ich vielleicht noch eure Hochzeit. Ich werde in der Zukunft meinen Lebensabend an einem sonnigen Ort verbringen. Was sagst du jetzt?“
Ich, ich bin sprachlos, meine Hand sucht die Hand von Anna. Glücklich halten wir uns aneinander fest, trunken von unseren Gefühlen.
Am Morgen noch keine bessere Zukunft in Sicht, am Abend bin ich mitten im Glück. Das Glück wohnt halt überall und ich hätte es doch fast übersehen.

© Bernard Bonvivant

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im menschlichen Dasein

Im Leben spielt die Vergangenheit keine Rolle. Was zählt ist die Gegenwart, denn nur über die Gegenwart können wir unsere Zukunft beeinflussen. Wer aber im Geiste in der Vergangenheit weilt, der wird nie in seiner eigenen Zukunft ankommen. Er nimmt sich so selbst die Chance auf die Mitgestaltung seines Lebens. Am Ende der Lebenszeit stellt so mancher Zeitgenosse staunend vielleicht fest: Die Lebenszeit ging schnell dahin, doch worin lag des Lebens wahrer Sinn?

©Bernard Bonvivant, Schriftsteller,
Autor des Romans Das Chaos