Donnerstag, 26. August 2010

Das tägliche Rattenrennen

Das tägliche Rattenrennen

Am Morgen verschlafen, den Wecker zu spät gehört. Die Dusche eiskalt genossen, das warme Wasser ausgerechnet an diesem Morgen ausgefallen. In der Küche die Körner heruntergeschlungen, die Zunge am schlechten, heißen Kaffee verbrannt.
Den Mantel übergeworfen, die Scheiben am Wagen freigekratzt. In der Kälte fast erfroren, die Ohren taub, die Hände klamm.
Das Auto springt nicht an, fürchterlich geflucht, fast das Lenkrad in Stücke geschlagen. Die Motorhaube geöffnet und mit nicht vorhandener Sachkenntnis das Innenleben studiert. Natürlich die Ursache nicht gefunden.
Der Nachbar stellt sich daneben, meint es sei die Batterie.
Natürlich, darauf hätte Frau doch auch von selbst kommen können. Oder etwa nicht?
Ein Auto hält an. Der Fahrer kommt gutgelaunt zu den Experten, schaut kurz unter die Motorhaube.
„Tja, da ist nix zu machen, die Zündkabel sind im Eimer.“
Frau schaut ihn verdutzt an. „Was für Zündkabel?“
„Eh, Mädchen musste nicht verstehen. Die meisten Leute haben damit ihre Probleme, dafür gibt es schließlich uns. Die Jungs vom KFZ - Handwerk.“
Frau natürlich wenig erbaut. „Machst du jetzt Werbung für die Innung. Oder wie darf ich deine Äußerung verstehen??“
„Nein! Natürlich nicht, ich arbeite eben in einem Betrieb, der sich Autohaus nennt.“
Frau erleichtert. „Ach so, ich dachte du nimmst mich auf den Arm.“
Der Mann lächelt sie an. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“ Frau lenkt geschickt ab.
„Wieso sind meine Zündkabel kaputt?“
Der Mann nickt. „Gute Frage. In der Kiste hat der Marder diese Nacht sein Quartier aufgeschlagen.“
Frau hält sich die Hand vor den Mund. „Das wird teuer!“
Der Mann winkt ab. „Diesen Schaden übernimmt die Teilkasko. Ich kann mich um dein Auto kümmern, kein Problem.“
Frau nickt. „Sehr gut, ich bin nämlich beim Rattenrennen.“
Der Mann schaut sie erstaunt an. „Um die Zeit am Morgen? Wo sind die lieben Tierchen?“
Die Frau lacht laut. „Sag bloß, du kennst das tägliche Rattenrennen nicht?“
„Nein, das ist bei mir eine Bildungslücke.“
„Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht. Das tägliche Rattenrennen ist der immer wiederkehrende Lauf, hin zur Arbeit, an den Schreibtisch, Hektik verbreiten, am Abend dann zurück in den Stall. Sich die Frage stellend: Geht das ewig so weiter?“
Der Mann lacht. „Na zumindest für diesen Tag dürfte das Rattenrennen anders aussehen.“
„Genau am heutigen Tag haben wir eine Tagung. Ich soll ein Referat halten. Wer kommt zu spät? Die Referentin!“
Der Mann lächelt sie freundlich an. „Mein Auto fährt, ich kann dich also noch rechtzeitig zu deiner Tagung bringen.“
Die Frau ist mehr als erfreut. „Das wäre jetzt absolute Spitze. Ich meine, ich würde mich auch revanchieren mit einer Einladung zum Essen.“
Der Mann hält ihr die Autotür auf, sie steigt ein.
„Was wird dein Boss sagen?“
Er lächelt sie an. „Bei meinem Rattenrennen bin ich der Boss. Das macht mir den täglichen Spaß leichter.“

© Bernard Bonvivant, Autor des Romans "Das Chaos"

Samstag, 21. August 2010

Manchmal steht die Zeit still

An einem herrlichen Sommertag verlässt ein alter Mann seine Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses im Nauwieserviertel in Saarbrücken. Sein Ziel ist der Staden, eine Parkanlage in der Landeshauptstadt, direkt gelegen an der Saar. Sein Weg führt immer hierher sogar an bitterkalten Wintertagen.
Früher als seine Frau noch lebte, hat sie ihn oft begleitet, dann saßen sie bei gutem Wetter stundenlang auf der Parkbank an ihrer Saar.

Leider hat seine Frau ihn vor zwei Jahren für immer verlassen, jetzt ist er nur noch allein mit sich und seinen Erinnerungen.

Die Saar war über viele Jahrzehnte seine Heimat gewesen, schon als kleiner Junge begleitete er oft seine Eltern, vor allem in den Schulferien. Sein Vater fragte ihn meist. „Und Gottfried, was wirst Du von Beruf, wenn Du ein Mann bist?“

Er antwortete dann immer. „Papa, ich werde natürlich Saarschiffer genauso wie Du!“ Sein Vater nahm sich dann meist eine Gitanes aus der Zigarettenpackung und rauchte erst einmal ein paar Züge, ehe er sich dann zu einer Antwort durchgerungen hatte.

„Weißt Du, Gottfried, das wird von Jahr zu Jahr schwerer auf diesem Fluss. Ich habe in deinem Alter noch meinem Vater zugesehen, wie er mit seinen Leuten das Boot entlang des Treidelpfades gezogen hat. Wir hatten zwar Rösser aber die Arbeit mein Junge war dennoch schwer. Ein paar Jahre später hat mein Vater unser Schiff hier gekauft. Wir hatten zwar ein grosses Schiff mit einer starken Maschine aber unsere Schulden waren keineswegs gering. Es gab Tage an denen war unser Essenstisch sehr bescheiden.“
Gottfried meinte dann immer. „Papa, die Zeiten ändern sich, heute geht es uns doch viel besser. Wir haben ein Auto. In ein paar Jahren haben wir
eine ganze Schiffsflotte.“

Sein Vater musste dann immer laut lachen und Mutter streckte den Kopf aus der Kombüse und rief.
„Josef, höre mir bloß damit auf, dem Jungen Flausen in die Ohren zu setzen. Du weißt, wie hart wir unser Brot verdienen.“
Der Vater lachte dann meist noch lauter. „Herr Gott, Mariechen, ich versuche es ihm doch auszureden. Der Junge ist halt ein echter Saarschiffer!“

Seine Mutter war dann meist noch wütender. „Josef mache unseren Buben nicht unglücklich. Der soll ein besseres Leben haben.“

Der alte Mann hatte seine Parkbank erreicht und setzte sich mit einem Lächeln nieder.

Seine Mutter war eine Seele von Frau gewesen und sie hatte es wirklich nur gut mit ihm gemeint. Gottfried aber hatte andere Ziele und die hießen, Schiffer werden. Alle Versuche seiner Mutter, ihm eine andere Zukunft auszumalen, waren für ihn undenkbar. Die arme Frau hatte schließlich an jenem Tag verloren, an dem Gottfried für sich die Liebe zu einem Mädel entdeckte.

Unter der Brücke von Sarreguemines geschah dies an einem Sommertag. Sie stand vor dem Schiff ihres Vaters und blickte ihn wütend an. Er hatte sie nicht bemerkt und war gegen ihr Fahrrad gelaufen. Die Einkaufstasche auf dem Gepäckträger des Rades fiel zu Boden. Da lagen nun das Baquette und der Käse und die zerbrochene Rotweinflasche am Boden. Der Schiffer kam zu ihnen und sah sich die Bescherung an. Er blickte zu seiner Tochter und dann zu Gottfried. Dann sprach er.
„Ihr zwei seit mir ein schönes Paar, habt Ihr nur noch Augen für Euch im Kopf oder was ist los?“

Josef kam von seinem Schiff herüber und entschuldigte sich für seinen
Sohn. „Wir ersetzen den Schaden, Monsieur. Ich heiße Josef Wagner“ Der Mann blickte ihn groß an. „Mais oui, Monsieur Josef, weißt Du noch, wie wir damals Schläge von unseren Vätern bekamen, weil uns die Rösser auf dem Treidelpfad fast verloren gingen?“

Josef griff sich an seine Stirn und brüllte. „Mensch, der Jacques Legrand, das ist schon so lange her, ich habe Dich nicht mehr erkannt. Ist das deine Tochter?“ Jacques nickte voller Stolz.
„Das ist meine Lucie.“

Lucie lächelte und es war der schönste Augenblick dieses Lebens für
Gottfried. Ab jenem Tag waren sie unzertrennlich und ihr weiteres Leben stand fest. Sie würden die Tradition der Saarschiffer fortsetzen.

Zwei Jahre später haben sie geheiratet. Im Jahr darauf hatten sie ihr eigenes Schiff, die Lucie. Es war das schönste Schiff auf der Saar und immer tiptop gepflegt und sauber. Bei ihnen konnte ein Besucher sprichwörtlich vom Boden essen. Die ersten Jahre liefen gut, viel zu gut. Sie hatten immer Fracht und schipperten die Saar hinunter über den Saar-Kohle-Kanal zum Rhein-Marne-Kanal und oft führten diese Fahrten ins Ruhgebiet und manches Mal sogar nach Rotterdam.

Gottfried stehen die Tränen in seinen Augen und während die Jugend im Fluss der Tränen erneut vor seinem Auge verwelkt, wie war diese Zeit mit Lucie so schön gewesen. Manchmal aber stand die Zeit auch in dieser Vergangenheit still, dann wenn das Hochwasser oder extremes Niedrigwasser eine Weiterfahrt verhinderte. Diese Zeiten nutzen sie damals nur für sich, gemeinsam erkundeten sie das Elsass, kletterten durch die Vogesen oder waren in Luxemburg, Belgien, eben gerade, wo ihr Schiff sozusagen gestrandet war, gemeinsam Hand in Hand unterwegs.
Ja, sie hatten ihr Leben genossen und es gab nichts was sie hätten bereuen müssen.

Was dann geschah, konnten sie nicht verhindern, sie hatten in der schweren
Zeit noch großes Glück gehabt. Es war ihnen gelungen die beiden Schiffe der Eltern zu verkaufen und nach deren Tod war noch genügend geblieben, um nicht mittellos zu werden. Die schönen Zeiten hatten sich gewandelt, es kam die Stahlkrise.

Die Stahlkocher wurden von ihren Hochöfen weggespült und die Frachtraten gingen dramatisch zurück. Das schwarze Gold wurde auch immer weniger und am Ende waren sie froh, wenn sie wenigstens noch gerade so über die Runden kamen.

An einem Sonntagmorgen saßen sie auf dem Saar-Kohle-Kanal fest mit einem Maschinenschaden. Lucie nahm es gelassen, deckte den Frühstückstisch und meinte sie müssten eine Entscheidung treffen.
Gottfried hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet.

Lucie ließ keinen Zweifel aufkommen, es war an der Zeit der Saar-Schifffahrt „lebe wohl“, zu sagen. Für Gottfried war dieser Sonntagmorgen hart. Eine Wasserratte war nun einmal keine Landratte.
Am Ende aber siegte die weibliche Vernunft und die Erkenntnis, dass es keinen Sinn ergab, die Ersparnisse für das Alter in eine ungewisse Zukunft zu stecken. Sie verkauften ihr Schiff und zogen in die Stadt.

Es war Lucie, die unbedingt eine preiswerte Wohnung wollte. Wussten sie, was noch kommen sollte? So zogen sie in das Nauwieserviertel, statt eines Autos, gab es zwei Räder und ansonsten fuhren sie mit den Straßenbahnen im Saartal. Er war stolz eine so kluge und bescheidene Frau an seiner Seite zu wissen.

Gottfried schaut auf seinen Fluss und könnte er die Zeit noch einmal durchleben, die Zeit würde länger stehen bleiben in den guten Jahren. Nein, da ist kein Groll, er hat eine sehr gute Frau gehabt, nur die Zeit ihres gemeinsamen Lebens war zu kurz und seine Zeit allein vielleicht zu lang. Langsam erhebt er sich von der Bank, ein paar Schritte hin zum Fluss. In einer Plastiktüte hat er wie so oft Brotreste. Er wirft sie in hohem Bogen den Enten in der Saar zu. Einige Minuten schaut er noch dem Treiben im Wasser zu, dann wendet er sich ab.

Sein Weg führt ihn zurück, in seine einsame Wohnung. Seine Brust aber ist voller Stolz, er war schließlich ein echter Saarschiffer, einer von dem alten Schlag. Seine Liebe zur Saar ist nie erloschen genauso wenig wie die Liebe zu seiner Lucie. Darum wird er auch Morgen wieder auf seiner Bank an der Saar im Staden sitzen, allein und seine Gedanken werden eintauchen in seine gute alte Zeit.


© Bernard Bonvivant, Schriftsteller, Germany

Autor des Romans Das Chaos


Mehr zu Bernard Bonvivant finden Sie hier: Bernard Bonvivant

Sonntag, 15. August 2010

Der Planet der Milchmädchen

Der Planet der Milchmädchen

Einst war ein Planet voller süßer Milchquellen. Überall im ganzen Land waren die Milchmädchen unterwegs und brachten ganz galant ihre Ware unter die Leute. Die Milch verwandelte sich in den Händen der Mädchen zu purem Gold, einmal glänzte es mit der Sonne um die Wette, das andere Mal war es dunkel und flüssig und floss, ohne ein Ende zu nehmen.

Ach, wie ist es doch so schön zu wandeln auf den glücklichen Pfaden. Die Verlockung aber saß abseits im Gebüsch, hörte das Flüstern der Milchmädchen im Winde und sandte den betörenden Duft der Verführung aus.

Fortan ging es nur noch um die Frage: Wie mache ich mehr daraus?

Die Milchmädchen fanden bald schon geschickte Möglichkeiten ihre Habe und ihr Gut noch mehr zu mehren ohne irgendwelche Skrupel. So streckten sie die Milch mit Wasser. Wer bei der Bezahlung nicht auf Heller und Pfennig achtete, dem wurde unter der Hand die Rechnung dreist erhöht. Die Kannen mit der Milch wurden nicht mehr ausgetauscht, sie wurden sprichwörtlich genutzt, bis sie auf dem Kopfe zerbrachen. So wurde die kostbare Milch in verschwenderischer Weise zum Marktplatz des Lebens getragen.

Eine alte und arme Frau saß bettelnd auf dem Marktplatz und blickte erzürnt. „Wie kann man nur so mit kostbarem Gute umgehen? Der Überfluss ist endlich und wehe euch der Mangel naht, dann werdet ihr fürchterlich darben.“ Die Narren und die Clowns, vorne weg die selbst ernannten Propheten mit ihren Trommlern, verspotteten und verhöhnten die alte Frau.

Das Leben aber sei Wandel und so manche scheinbare Vollkommenheit zerbricht. Eines Tages versiegten die Milchquellen und die Milchmädchen hatten in ihren Kannen nur noch schwarzes Pech. Die Felder trugen keine Frucht mehr und die Mägen knurrten vor Hunger. Bald schon begann der große Kummer gepaart mit der Traurigkeit Einzug zu halten in das Leben und kein Tier und kein Mensch blieben davon verschont.

Die Milchmädchen zogen weinend zu ihren Milchquellen. Sie haderten mit dem Leben und flehten um Gnade, doch die unbeschwerte Zeit des Paradieses war endgültig vorüber.